DIE KÜNSTLER
VOM FELD
FOTOS: ALBERT HANDLER
TEXT: UTE WOLTRON
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Waltraud und Michael Bauer liefern mit exquisiten Obst- und Gemüseraritäten den Stoff, aus dem Spitzenköche ihre Menütr.ume spinnen. In Stetten betreiben die beiden eine Landwirtschaft, die eher an einen kleinteiligen Märchengarten als an Felder erinnert.
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Vor etlichen Jahren trug sich in einem Wiener Lokal der Spitzenklasse folgende Geschichte zu: Ein Gast bestellte ein fürstliches Menü, die Speisen folge zog sich über fünf Gänge und war mit allen Delikatessen der Saison gespickt. Nachdem Jakobsmuscheln, Petersfisch und andere Köstlichkeiten samt Beilage verspeist waren, lehnte sich der Gast befriedigt zurück und verlangte, den Küchenchef zu sprechen. Der eilte herbei, der Gast sah ihn verklärt an und sprach, er habe noch nie in seinem Leben so dermaßen gute Erdäpfel gegessen. Was denn das für welche gewesen wären?
Die Kartoffeln, die den edlen Meerestieren den Rang abgelaufen hatten, stammten von den Gemüsebauern Waltraud und Michael Bauer in Stetten bei Korneuburg. Die beiden betreiben dort einen Gemüseanbau, der mit dem herkömmlichen Begriff Landwirtschaft nur unzureichend beschrieben wäre: Durch das Reich der Bauers wandelt der Betrachter vielmehr wie durch einen Märchengarten aus Farben, Früchten und Düften.
Zwischen Rabatten voller Blumen, deren Blüten selbstredend essbar sind, blühen Duftrosen aller Farben sowie mannshohe Kardonen, die wilden Cousinen der Artischocke. In lang gestreckten Hochbeeten verströmen Kräuter ihr Aroma, von denen die meisten von uns mit größter Wahrscheinlichkeit noch nie gehört, geschweige denn gekostet haben. Auf den Obstbäumen reifen seltene Apfel-, Birnen- und Marillensorten. Und in großen Folienglashäusern wuchern neben Physalis, Melanzani, Paprika, Bohnen und Gurken jedweder Sorte und Provenienz zahllose Tomatensorten, deren Farbspektrum von dunkellila über grün gestreift bis cremeweiß reicht. Ebenso unterschiedlich wie ihr Aussehen ist auch ihr Geschmack.
Genau das ist eine der Stärken der Bauers: Sie kosten das reiche Spektrum der verschiedenen Sorten aus, um mit den besten davon die heimische Gastronomie zu beliefern. Man könnte die beiden als Künstler der lukullischen Botanik bezeichnen, als Botschafter des biologischen Geschmacks, als Avantgardisten der Kultur des Aufspürens vergessener und neu zu entdeckender Gemüse, Obst und Kräutersorten. Schon seit ihrer Studienzeit an der Universität für Bodenkultur in Wien haben sie mit der spannenden Materie des Unbekannten experimentiert. Michael Bauer züchtete beispielsweise bereits als Student Chicorée – vor drei Jahrzehnten hierzulande kaum jemandem bekannt – und schrieb seine Diplomarbeit über das zart bittere, so kapriziöse und in absoluter Dunkelheit zu ziehende Gemüse.
Nachdem alle Analysen erledigt waren, erinnert sich Bauer, stand er ratlos vor einer nicht unbeträchtlichen Chicorée Ernte und dachte: „Was mache ich denn nun damit?“ Er packte die knackigen Wintersalatköpfchen ein, fuhr damit in die Wiener Innenstadt, klopfte dort auf gut Glück an die Pforte eines renommierten Lokals, wurde in derselben Minute seine gesamte Ware los und vom Küchenchef mit dem Auftrag weggeschickt, alles, was er produzieren könne, doch bitte wieder vorbeizubringen, möglichst bald. Was er denn sonst noch so im Programm habe? Man sei beispielsweise auch an frischen, hierzulande kaum aufzutreibenden Zucchiniblüten höchst interessiert.
Michael Bauer fuhr wieder heim und begann, den elterlichen Bauernhof umzukrempeln. Auf einem der Felder sprossen bald Zucchini neben dem Weizen vom Vater. Auf einem anderen breiteten sich Mairüben und besondere Karottensorten aus. Auf dem nächsten wuchsen Erdbeeren – die waren dann auch für den endgültigen Durchbruch in die anspruchsvolle Region der Gastronomie verantwortlich. Der Walderdbeergeschmack der damals fast völlig in Vergessenheit geratenen „Mieze Schindler“ überzeugte nicht nur die Gastronomen, sondern entzückte vor allem auch die Gäste. Die riefen in den Lokalen an und fragten nach, ob es wieder diese herrlichen Erdbeeren gäbe, denn in diesem Fall würde man gern einen Tisch reservieren.
Auch andere ambitionierte Köche des Landes wurden rasch auf die Stettener Gemüse spezialisten aufmerksam, und es entwickelte sich ein fruchtbarer Dialog zwischen Küche und Feld, der bis heute andauert. Gemüseproduzenten wie die Bauers sind maßgebliche Partner der Gastronomie. Sie liefern schließlich den Stoff, aus dem die Köche ihre Träume verwirklichen. Sie stellen den Küchenmeistern neue Produkte vor, machen sie auf aufregende Geschmacksrichtungen aufmerksam und fungieren somit als Inspirationsquelle für all jene, die das zu schätzen wissen. „Man muss die Nase immer vorne haben“, sagt Michael Bauer. „Deshalb probieren wir jedes Jahr etwas Neues aus.“ Er ist zuständig für die Früchte und für das Gemüse, Waltraud Bauer für die Blüten und die Kräuter. Letztlich legt in diesem Familienbetrieb aber jeder Hand an, wo und wenn es nottut. Vor allem in der Zeit zwischen Februar und November bedeutet das Arbeit fast rund um die Uhr.
Wer nicht auf jene Sorten setzt, die von der Saatgutindustrie auf lange Lagerfähigkeit zulasten des Geschmacks gezüchtet wurden, pflückt die Paradeiser, Erdbeer und Gurkenstauden eben täglich durch, erntet Zucchiniblüten zweimal pro Tag, muss darauf achten, dass die feinen Blüten von Duftveilchen, Wildem Stiefmütterchen und Duftpelargonie binnen Stunden den Ort ihrer Bestimmung und Verarbeitung erreichen. Der Betrieb beliefert rund dreißig Gastronomiebetriebe mehrmals wöchentlich mit taufrischer Ware. Zur Verfügung steht das, was die ideale Reife in sich trägt. Wenn Michael Bauer etwa Tomaten von der Rispe knipst, weiß er genau, welche der vielen Früchte in diesem Erntemoment das perfekte Aroma haben und welche noch ein, zwei Tage reifen müssen.
Waltraud Bauer wiederum holt sich Saatgut und Kräuterpflanzen aus aller Welt, sät und pflanzt sie aus, testet sie auf dem Feld und in der Küche, befindet nur die besten davon als vermarktenswert: „Mehr als 90 Prozent der experimentell angebauten Kräuter sind uninteressant, aber dann ist doch immer wieder eine aufregende Pflanze dabei, die etwas Neues verspricht.“ Sizilianische Dille etwa, die, frisch abgezwickt und in den Mund gesteckt, zwar ähnlich dem herkömmlichen Dillkraut schmeckt, doch darüber hinaus auch noch überraschend süße und andersartige, kräftige Aromakomponenten auf der Zunge entwickelt. Oder das Krenblatt mit seinem scharfen Wohlgeschmack, der rotblättrige Sauerampfer, der balsamische Duftsalbei aus Afrika.
Die lang agestreckten, halbhohen Beete, die dieses bunte, durcheinanderwuchernde Kräuterallerlei beherbergen, sind von praktischer Eleganz und selbst gezimmert. Denn so funktionieren die Bauers: ausprobieren. Tun. Das Beste aus allem herausdestillieren, sei es Sorte, Pflanze, Frucht oder Gerät. Mit beiden Händen kräftig zupacken. Immer aufmerksam und auf der Spur des Neuen bleiben. Wenn beispielsweise ein legendärer italienischer Chef wie der Piemonteser Cesare Giaccone in den Gemüsegefilden der beiden zu Besuch ist und nebenbei eine Bemerkung über eine fantastische Maissorte für Polenta fallen lässt, dann wächst ebendiese Sorte wenig später testweise in Waltraud Bauers Kukuruzgarten.
Man muss die Nase immer vorne haben. Deshalb probieren wir jedes Jahr etwas Neues aus.
MARTIN BAUER
Apropos: Mais, Bohnen und Kürbis bilden hier eine Mischkultur, wie sie bereits die Maya vor zumindest zweitausend Jahren in Mittelamerika betrieben. Der Mais bildet die Stangen, die Bohnen können daran emporranken und beliefern die Maiswurzeln zudem mit Stickstoff. Der Kürbis wiederum schützt die Erde vor Erosion und Trockenheit. Die gemeinsame Kulturgeschichte von Nutzpflanzen und dem Menschen ist Teil der Landwirtschaftsphilosophie von Waltraud und Michael Bauer. Sie kennen die Geschichte der angebauten Pflanzen ebenso gut wie deren bevorzugte Standorte. Licht, Schatten, Wasser, Bodenzusammensetzung – all das spielt eine Rolle, nicht nur für das Gedeihen der Pflanzen, sondern auch für die Entwicklung des Aromas. Ein und dieselbe Kartoffelsorte beispielsweise kann je nach dem Boden, in dem sie gereift ist, ganz unterschiedlich schmecken.
Ein Gast, wie jener, dem die Erdäpfel aus Stetten seinerzeit so gemundet haben, muss all das nicht unbedingt wissen, um zu genießen. Spitzenqualität erklärt sich eben von selbst. Doch möglicherweise wird ein Menü noch vergnüglicher, wenn man verinnerlicht hat, dass die Kunst in der Küche ihre Wurzeln in der Erde und bei den Leuten hat, die diese mit Hingabe bewirtschaften.
Storys
Geheime Gemüsesorten, der Geschmack von morgen und Kochen für eine bessere Welt: Geschichten über Tradition und Zukunft in der Gastronomie.
Die Artikel sind in den S Magazinen des Steirereck erschienen und alle vier Monate finden Sie an dieser Stelle neue Storys zu einem ausgewählten Thema.