WEIN IM WANDEL
FOTOS: PHILIPP HORAK
TEXT: SEBASTIAN HOFER
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Eine Geschichte von Erderwärmung und Extremwetter, Hagel und Sonnenschein, von der Verabschiedung alter Gewissheiten und von den Fragen: Was heißt das nun alles für den Wein? Was werden wir in Zukunft trinken? Und warum?
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Wenn Martin Muthenthaler oben am Vießlinger Stern steht und den Spitzer Graben entlangblickt, dann hat er die Zukunft vor Augen und die Vergangenheit im Ohr. Er sieht seine Weingärten und hört das Echo seiner Kollegen. Spinner nannten sie damals, in den 1980er- und 90er-Jahren, hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand jene paar Wachauer Don Quichottes, die da oben, wo die Sonne niemals glüht und die Wachau ja wohl längst zu Ende ist, ihre Weingärten hegten, in steiler, karger Höhenlage, zwischen alten Trockensteinmauern, in durchaus mühsamer Handar-beit. Heute weiß Muthenthaler, der einmal KFZ-Mechaniker gelernt und lange als Fahrer bei der Domäne Wachau gearbeitet hat, dass sich die Mühe lohnt und dass er auf das richtige Pferd gesetzt hat: auf Weingärten, die eine Zukunft haben.
Denn diese Zukunft wird anders sein als das, was man in den 1980er- und 90er-Jahren gewohnt war. Wärmer, trockener, extremer. Dass das Klima sich ändert, wird heute kaum noch jemand bestreiten wollen, und wer es doch bestreiten möchte, der soll ruhig einmal mit einem Weinbauern reden. Der wird ihm erzählen, was sich getan hat in den vergangenen zehn, 15 Jahren und wie sich das auswirkt: Die Hitzejahre häufen sich, die Unwetter werden dramatischer, die Weinbauernsorgen größer. Zwischen Trockenheit und Unwetter liegt ein schmaler Grat, es ist mit allem zu rechnen, jederzeit. Aber andererseits: Da, wo die Trauben früher nur selten reif wurden, weil es zu kalt war oder zu schattig – zum Beispiel da hinten, am oberen Ende des Spitzer Grabens –, ja, da entwickeln sie sich heute eben genau richtig.
René Antrag, Sommelier des Steirereck, öffnet eine Flasche von Martin Muthenthalers 2015er Riesling Vießlinger Stern und kommt beim Erklären schnell ins Schwärmen: „Ja, genau so muss das heute sein: ein strahlender, vibrierender Wein aus einem eigentlich superheißen Jahr. Trotzdem elegant, schlank, mit nur zwölf Prozent Alkohol. Das hat natürlich mit der Lage zu tun, die eben sehr hoch ist und sehr kühl. Aber das alleine ist es nicht. Es gibt da oben keine Bewässerung, die Bewirtschaftung der Weingärten ist eine echte Herausforderung. Die einzelnen Elemente müssen zusammenpassen: Du brauchst die richtige Rebsorte, musst im Weingarten alles richtig machen, was die Bodenbearbeitung, die Laubarbeit betrifft. Und du darfst dir im Keller keine Fehler erlauben. Eines geht nicht mehr ohne das andere. Aber jetzt probier einmal diesen Wein. So muss das sein.“
Wenig auf dieser Welt ist so komplex wie das Klima, und nichts ist so kompliziert, wie als Winzer auf diese neuen Gegebenheiten zu reagieren. Wie man es auch macht – man macht es erst einmal falsch. Denn in der neuen Unberechenbarkeit des Wetters verschwimmen die alten Gewissheiten. Weinmachen ist sehr oft auch Fehlermachen. Wichtig ist dabei, dass man aus seinen Fehlern lernt und dass man es, idealerweise, nicht komplett falsch macht. Der Weg zum guten Wein führt häufig über den Kompromiss, man kann nicht von Jahr zu Jahr radikal umschwenken, nur weil sich die Verhältnisse dramatisch ändern. Armin Tement, Winzer in der Südsteiermark, weiß genau, wovon er spricht, wenn er von diesen neuen Schwierigkeiten berichtet – und dabei ist von den leider immer häufigeren Hagelunwettern noch gar nicht die Rede. Gegen die ist man machtlos. Den Rest kann man managen: in heißen Jahren mehr Trauben am Rebstock hängen lassen, um die Reifung zu verzögern und die Frische zu bewahren. In regnerischen Jahren mehr auslesen, um die Luftzirkulation zu verbessern. In keinem Fall allzu extremistisch agieren, um die Reben nicht aus ihrem langjährigen Gleichgewicht zu bringen. Denn auf die Balance des Weingartens kommt es an. Armin Tement erklärt das Grund- prinzip: „Wir werden immer mehr Extreme erleben, aber wenn der Weingarten in Balance ist, kann er diese Ausschläge austarieren. Einmal hast du mit viel Niederschlag zu tun, einmal mit viel Trockenheit. Dann steht am Ende eben einmal die Kernigkeit des Weins im Vordergrund und einmal die Saftigkeit. Beides hat seine Qualität.“ Für den Winzer bedeutet das freilich, dass er nicht mehr nach Schema F arbeiten kann, sondern sich an den jeweiligen Jahrgang herantasten muss. Mit der Betonung auf: tasten. Denn jede Entscheidung, die ein Winzer trifft, hat enorme Auswirkungen, manchmal auf viele Jahre hinaus.
Die größte aller Grundsatz- Entscheidungen betrifft die Frage, welche Rebsorten ein Winzer eigentlich auspflanzt – und welche für den Weinbau unter den kommenden Bedingungen noch taugen. Gerade die österreichischen Paradesorten Zweigelt und Grüner Veltliner werden in Zukunft wohl nicht mehr überall so gedeihen, wie man es von ihnen gewohnt war. Armin Tement hat es in dieser Frage vergleichsweise einfach, die Leitsorten seiner Region, allen voran Muskateller und Sauvignon Blanc, kommen mit der Klimaerwärmung bisher ganz gut zurecht. Das zeigt, ein paar Kilometer weiter westlich, in einer Lage, die in puncto Kühle und Kargheit durchaus mit dem Spitzer Graben mithalten kann, auch der Sauvignon Blanc Ried Hochsteinriegl 2017 vom Weingut Wohlmuth im Sausal – lange gereift, aber trotzdem nicht opulent, weil kühle Nächte die Aromenreife fördern, ohne dass der Zuckergehalt gleich ungut in die Höhe schießen würde. René Antrag: „Das ist feingliedrig und präzise, das ist absolut die Zukunft, auch vom Ausbau her: Hier wird dem Wein Zeit gegeben, im Keller und auch noch in der Flasche.“
Einer, der traditionell kaum je die Zeit bekam, die er verdient hätte, ist ja der Welschriesling. Aber auch das ändert sich gerade, denn zunehmend erweist sich die gute, alte Heurigen-Sorte als echtes Zukunftsmodell. Nicht nur in der Steiermark rückt sie auch immer mehr in den Fokus der Spitzenwinzer. Weil die Sorte aber eben lange ein halbwegs mieses Image hatte, sind alte Welsch-Weingärten in großen Lagen leider rar. Armin Tement hat zum Glück noch so einen Weingarten, aus ihm stammt sein Welschriesling Weinstock Alte Reben 2014, der zeigt, wozu diese Sorte fähig ist. René Antrag ist – schon wieder – hingerissen: „Für mich hat das die Eleganz eines Aligoté aus dem Burgund. Das ist nicht laut, nicht aufdringlich, das über-trägt das Terroir, hat durch lange Hefelagerung genug Ruhe und dabei eine vibrierende Säure, die diesen Wein unfassbar spannend macht. Das passt auch in der Speisenbegleitung ganz hervorragend zu einer zarten, eleganten Küche.“
Ein ähnliches Kaliber mit einer irgendwie auch ganz ähnlichen, irgendwie aber doch völlig anderen Geschichte: Michael Wenzel, Furmint Garten Eden 2017. Der Wenzel’sche Garten Eden liegt auf einer Anhöhe über Rust, mit bestem Blick auf den Neusiedler See, sein Furmint ist dem Winzer schon seit Jahren ein Herzens-anliegen. Ans Klima hat er dabei nicht in erster Linie gedacht – aber jetzt gibt ihm auch das noch recht. Kaum eine Sorte eignet sich so gut für die neue, sozusagen hochpannonische Zeit, kann mit der Hitze so gut fertigwerden und wirkt selbst voll ausgereift noch frisch und stoffig und gerbstoffreich. Und ja, das ist ein Kompliment.
Denn die Temperaturen sind nicht das Einzige, was sich geändert hat in den letzten Jahren. Auch stilistisch hat sich viel getan: Weißweine dürfen, ja sollen eine gewisse Phenol-Struktur mit sich bringen, Rotweine wiederum können gern auch filigraner, süffiger werden. Auch im Steirereck hat sich die Nachfrage geändert, erzählt René Antrag: „Rot- und Weißweinstile nähern sich definitiv an. Natürlich gibt es immer noch die kräftigen, opulenten Rotweine, wie wir sie aus den klassischen Blockbuster-Jahrgängen kennen, und es wird sie wohl auch immer geben. Aber die Tendenz geht in eine andere Richtung. Und beim Weißwein wird nicht mehr nur jung-frisch-knackig gesucht, sondern verstärkt auch Ausdruck und Struktur.“ Das wird auch die Bewertung von Jahrgängen verändern: „Ich vermute, dass die kühleren Jahrgänge in Zukunft jene sein werden, mit denen man mehr Freude haben wird als mit besonders sonnenreichen. Dafür wird die Hitze heute einfach zu schnell zu extrem.“
Ich vermute, dass die kühleren Jahrgänge in Zukunft jene sein werden, mit denen man mehr Freude haben wird als mit besonders sonnenreichen.
René Antrag
Wo das Extreme herrscht, muss Balance her. Wenn das Wetter schwankt, tut der Weingarten gut daran, in sich zu ruhen. Es muss ja nicht gleich die volle Biodynamie sein. Es reicht auch, wenn die Winzer ihren Reben geben, was sie brauchen: eine natürliche Umgebung und eine ruhige Hand, die im Wissen han-delt, dass die Weingartenweishei-ten von gestern überholt sind. Es geht eben nicht mehr um höchste Zuckergradation oder maximalen Extrakt, sondern um Eleganz, um Weißweine, die ein bisschen wie Rotweine werden, und um Rot-weine wie den St. Laurent Frauen-feld 2016 vom Johanneshof Reinisch, von dem René Antrag das folgende Loblied singen kann: „Das ist ein Wein, der die Thermenregion wirklich verkörpert, aus einem Jahrgang, der nun wirklich kein klassischer Blockbuster-Jahrgang ist. Das geht in eine filigrane, burgundische Richtung, das ist rotbeerig, floral, feingliedrig, mit supersaftigem Gerbstoff, zart, verspielt, toll.“ Anderes Bundesland, ähnlicher Stil – und wieder eine Hymne: Blaufränkisch Alte Reben, Weingut Wachter-Wiesler, Jahrang 2014: „Das ist wirklich herausragend. Blaufränkisch ist international inzwischen überhaupt die klare österreichische Signature-Sorte. Und auch für heiße Jahre extrem gut geeignet. Das ist knochig, präzise, trotz hoher Reife immer strukturiert und hält den Fokus, außer du machst im Keller was damit, was ihm nicht gerecht wird. Aber das ist hier definitiv nicht der Fall, da wurde die Struktur aus dem Weingarten im Keller schonend weitergetragen. Das ist natürlich ein Wein für Fortgeschrittene, kein Schmeichler, dafür supercrisp, supersaftig, hat Ribisel, Grapefruit. Und wir reden hier von einem offiziell schlechten Jahrgang. So etwas kommt heraus, wenn sich der Winzer wirklich mit der Natur beschäftigt.“
Das wiederum ist nun ein wirklich gutes Stichwort, um über Gernot Heinrich zu reden, oder besser noch: mit ihm. Besuch in Gols, der Winzer zeigt, was er hat – und was er damit macht: große Betongefäße, in denen es, nun ja, brodelt. Ganze Rotweintrauben, komplett mit Stiel und Stängel, liegen auf der Maische und vollführen, ganz sanft und ungezwungen, das Wunder der Natur: Gerbstoffe werden ausgelaugt, Zucker zu Alkohol umgewandelt, Farbstoffe abgegeben – aber weil das alles so behutsam geschieht, geschieht es auch nur in Maßen. „Wenn du im Weingarten der Natur ihren Lauf lässt“, sagt Gernot Heinrich, der schon lange biodynamisch arbeitet, „dann musst du auch im Keller loslassen können. Ich kann nicht im Weingarten so homöopathisch wie möglich arbeiten und im Keller nach vorgefasstem Strickmuster. Ich muss schon auch ein biss-chen Vertrauen haben in meine Trauben.“
Am Ende dieses Vorgangs, der der Natur die lange Leine lässt und den Trauben vertraut, stehen Weine wie Gernot Heinrichs Roter Traminer Freyheit 2019, den René Antrag jetzt aus der Kühlung zau-bert: „Der Traminer ist ja eine Rebsorte, die ab einer gewissen Reife sehr schnell an Säure verliert. Dann kommt es auf den Lesezeitpunkt an, aber auch auf die Vinifizierung. Wenn du den klassisch ausbaust, bekommst du einen sehr lauten, fruchtigen, cremigen Wein, der Säure missen lässt. Wenn du Traminer aber so vinifizierst, wie es Gernot Heinrich macht, zwei Wochen auf der Maische, sanft extrahiert, mit ganzen Trauben, dann kriegst du wieder etwas zurück von der Struktur, vom Gerbstoff. Dann ist die Frucht knackig, der Wein leichtfüßig und elegant und gar nicht weich-gespült. Das ist knackig, das hat Zitrus, Bergamotte, trotzdem das Duftige vom Traminer. Das ist einfach unkompliziert auf hohem Niveau. Das ist die Zukunft.“
Die Zukunft kann kommen.
Storys
Geheime Gemüsesorten, der Geschmack von morgen und Kochen für eine bessere Welt: Geschichten über Tradition und Zukunft in der Gastronomie.
Die Artikel sind in den S Magazinen des Steirereck erschienen und alle vier Monate finden Sie an dieser Stelle neue Storys zu einem ausgewählten Thema.