WO ES GLUCKERT
UND BLUBBERT
FOTOS: KLAUS FRITSCH
TEXT: ANNA BURGHARDT
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Wer heute nicht irgendetwas milchsauer vergärt, hat kein Leiberl mehr: Die Fermentation ist die Methode der Stunde. Über Herbstspargel, Winterringlotten, Heilsversprechen und Laissez-faire.
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Der Roten Rübe ist heute zum Plaudern zumute. Sie hat schon zu lange geschwiegen, es ist ihr dritter Tag in Finsternis, langsam wird ihr langweilig. Blubb, blubb macht sie. Blubb, wie schön ist es doch, am Leben zu sein! Gleich noch einmal: blubb. Sie fühlt sich großartig. Einen Topf weiter probieren die zwei Gurkenschwestern aus, ob sie schon stark genug sind, den Deckel zu heben – eins, zwei, drei, blubb! Der Deckel hebt sich. Na bitte! So lebendig haben sich die beiden noch nie gefühlt. Seit sie in hohen Tontöpfen in Salzwasser gebettet wurden, kribbelt es unentwegt an ihrem Körper. Als ob kleine Tierchen sie andauernd kitzeln würden.
Die Erwachsenenversion der Geschichte enthält die Wörter Mikroorganismen, milchsauer, anaerob, Starterkultur. Oder, etwas sinnlicher, Spargel, Ringlotten, Radieschen. Oder gedanken- voller: Geschmack der Zukunft, Eigenleben, Unab hängigkeit.
Die Fermentation ist derzeit eines der großen kulinarischen Themen. Im engeren Sinn, wenn man nur von Louis Pasteurs Definition, der mikrobakteriellen Veränderung unter Luftabschluss, spricht, erst seit Kurzem wieder. Im weiteren Sinn, wenn man auch Reifung und Oxidation dazuzählt, schon immer. Ein Leben ohne Speisen und Getränke, die erst durch Mikro organismen zu dem wurden, was sie sind, möchte man sich lieber nicht vorstellen. Ohne Wein und Brot wäre nicht nur die Bibel lückenhaft. Ohne Schokolade, Bier, Salami, Käse, Tee würde unserem westlichen Genussspektrum gewaltig etwas fehlen. Ohne Miso, Natto, Stinky Tofu und Tempeh würden sich wohl viele Asiaten amputiert fühlen. Gäbe es keine Salzgurken, wäre so mancher Marktschreier arbeitslos und die Linie zwischen Berlin und Wien, der Salzgurkenmeridian, vielleicht für immer ohne Namen geblieben. Und ohne das vor Vitamin C strotzende Sauerkraut als Bordverpflegung wären James Cook und viele andere Seefahrer an Skorbut gestorben. Der Gastrophilosoph Michael Pollan drückt die Bedeutung der Fermentation so aus: „Sollte es eine Kultur geben, die nicht auf irgendeine Art Essen und Trinken fermentiert, wurde sie jedenfalls von Anthropologen noch nicht entdeckt.“
Auch Spitzenköche haben die Fermentation entdeckt. Drastisch gesagt, ein erwünschtes, möglichst kontrolliertes Verrotten. Vom hohen Norden abwärts wird heute vor allem milchsauer vergoren, was das Zeug hält. Diese Methode ist ebenso uralt wie einfach: Rote Rüben, Zwiebeln, Wassermelonenschale, Steinobst, Spargel, Kraut und viele andere potenzielle Zutaten werden, freilich sortenrein getrennt, in etwa sechsprozentige, kalte Salzlake versenkt. Man beschwert sie sorgfältig, damit sie komplett untergetaucht und nicht mehr mit Luft in Berührung kom men. Ab dann erledigen – vereinfacht gesagt – die guten Mikroorganismen ihren Job und bauen den in Gemüse oder Früchten enthaltenen Zucker in Milchsäure ab, während das Salz wiederum die bösen Bakterien erledigt.
Milchsäurebakterien sind im Gegensatz zu anderen salzresistent, sie können also in der Lake arbeiten. Und sie sind nahezu überall, sitzen von Natur aus auf Gemüse und Obst; Starter kulturen sind für die milchsaure Gärung daher nicht unbedingt notwendig. Manchmal werden aber Zucker, Honig oder auch geriebene Birnen verwendet, um den Mikroorganismen noch mehr Nahrung zu geben.
Meist wird das Gärgut samt Lake in hohe Tontöpfe mit einer abschließenden, wassergefüllten Rinne geschlichtet. Der Deckel ruht im Wasser und verschließt den Topf luftdicht, die bei der Gärung entstehenden Gase können dennoch entweichen. Nach Tagen entwickelt sich, je nach Außentemperatur schneller oder langsamer, der typische Geschmack von milchsauer Vergorenem, der wohl am leichtesten mit „sauerkrautartig“ beschrieben ist, auch wenn diese Kostnotiz deutlich zu kurz greift. Während der Lagerung des vergorenen Gemüses – traditionell im kühlen Keller, heute eher in der Vakuumverpackung im Kühlhaus – entwickeln sich die Aromen noch einmal weiter, werden oft runder und vollmundiger, manchmal aber auch stechender, schärfer. Ein bisschen darf man sich hier überraschen lassen.
Fermentieren ist mehr als eine Methode. Die einen, angeführt vom amerikanischen Guru Sandor Katz, sehen darin ein Heilsversprechen. Ein Werkzeug, das die Menschheit unabhängig macht von großen Nahrungsmittelkonzernen mit ihren „leeren, toten Nichtlebensmitteln“, das die Kinder erkranken lässt, weil sie keine Abwehrkräfte mehr entwickeln. Ein Werkzeug, das uns unabhängig macht von Stromausfällen und anderen Weltuntergangsszenarien – zum Fermentieren braucht man keinen Strom, zum Lagern der Ergebnisse meist ebenso wenig. Fermentiertes zu essen, sich also wieder auf Mikroorganismen einzulassen und diese Kleinstlebewesen nicht als das Böse schlechthin zu sehen, sei der einzige Weg, der rasant steigenden Allergien Herr zu werden, meint Katz.
Die derzeitige Phobie vor Bakterien sei absurd, schließlich waren es genau diese, mit denen Lebensmittel über Jahrhunderte haltbar gemacht wurden – Stichwort Sauerkraut. Wir müssten das Leben als ein Miteinander von Mensch und Mikroben, die Mikroorganismen als wichtige und kompetente Partner sehen und ihnen Vertrauen schenken, postuliert Katz mit fast religiösem Eifer. Und zitiert in seinem Buch „The Art of Fermentation“, die als Bibel der Fermentation gilt, passenderweise das Krautgebet eines seiner Jünger: „May you nourish me as I nourish you.“
Für andere kulinarische Denker wiederum ist die Fermentation fast eine Philosophie. Man könne mit ihr etwa die Saisonalität auf den Kopf stellen: Spargel im Frühling im Gärtopf angesetzt, aber erst zur Maroni und Kürbiszeit als erfrischende und knackige Überraschung serviert. Ringlotten im Sommer fermentiert und im öden Rübenwinter zu Tisch gebracht. Wunderbar geeignet für subtile Aromenspiele seien außer dem die Nuancen vom rohen, ursprünglichen Produkt bis zu seiner milchsauren Gestalt.
Die Rote Rübe beispielsweise steht allein mithilfe der Fermentation in vielen verschiedenen Varianten zur Verfügung. Roh. Gekocht oder im Ofen geschmort. Kurz fermentiert und roh. Kurz fermentiert und gegart. Lang fermentiert und roh. Lang fermentiert und gegart. Der bei der Milchsäuregärung entstehende Saft kann ebenfalls verwendet werden: ein fast sirupartiges Elixier von einem so unglaublich leuchtenden Magenta, wie man es bei der Roten Rübe noch nie gesehen hat.
May you nourish me as I nourish you.
Quote from “The Art of Fermentation”
Reizvoll sei weiters der schmale Grat zwischen erwünschter Zersetzung und verdorben (hier klappern freilich womöglich die Gäste mit den Zähnen, nicht alle sind vom Fermentieren so begeistert wie die kochende Zunft). Erfrischend als Kontrast zu hochentwickelten Küchentechnologien sei außerdem der begrenzte Einfluss des Menschen auf die Lebensmittel: Man kann zwar mit Starterkulturen, peinlicher Sauberkeit und genau kontrollierten Temperaturen ver suchen, die Gärung zu überwachen, die totale Kontrolle über die Mikroorganismen im Gär topf und die Ergebnisse der Fermentation hat man aber nicht. Statt Kontrolle dient sich eher eine andere Methode an: das Laissezfaire. Sorge für die richtigen Bedingungen und lass die Mikro organismen machen. Wenn du daran glaubst, wird etwas Gutes dabei herauskommen.
Storys
Geheime Gemüsesorten, der Geschmack von morgen und Kochen für eine bessere Welt: Geschichten über Tradition und Zukunft in der Gastronomie.
Die Artikel sind in den S Magazinen des Steirereck erschienen und alle vier Monate finden Sie an dieser Stelle neue Storys zu einem ausgewählten Thema.